2017 Stefan Renner

Einführungsrede zur Einzelausstellung von Erwin Holl „ZusammenGänge“,
in der Städtischen Galerie im Alten Bau, Geislingen a.d.Steige, 2017

ERWIN HOLL _ ZUSAMMENGÄNGE                                                                                   5.2.2017

Sehr geehrte Damen und Herren,

auch von meiner Seite: Alles Gute für das neue Jahr: Glück, Gesundheit und Frieden.
Es freut uns, dass Sie so zahlreich erscheinen sind – herzlich willkommen.

Grundsätzlich scheint es so zu sein, dass Bildende Kunst demokratisch angelegt ist. 
Das, was der Betrachter mit der Kunst anfängt, wie er sie deutet und empfindet, bleibt einzig und allein ihm überlassen – so wie die Leinwand dem Maler und Malerin überlassen ist und es ihnen überlassen bleibt, damit zu tun und zu lassen, was sie möchten – freier und in diesem Sinne demokratischer ist vermutlich nur wenig. Kunst lässt sich nur bedingt vereinnahmen und in ein ewig und für alle gleichermaßen gültiges Korsett pressen.
Die Kunst bleibt dem Maler, der Malerin zum Machen und dem Betrachter zum Betrachten überlassen – damit könnte man, wenn man wollte, die Rede hier bereits schließen, denn Sie alle sind herzlich dazu eingeladen, sich mit den hier ausgestellten Arbeiten sehenden Auges zu beschäftigen.
Doch muss man ja nicht immer derart konsequent sein – und ein paar Worte und Auffälligkeiten, kann man erwähnen – auch wenn es nur darum gehen kann, Impulse zu setzen. Präsentiert werden das ganze Jahr über unterschiedliche malerische Positionen, die im Kontrast zueinander stehen, sich dabei bedingen oder ergänzen und dabei zumeist auf verschiedene Weisen in eine Auseinandersetzung mit der optisch wahrnehmbaren Wirklichkeit treten – als Auseinandersetzung mit der Welt und als Aneignung von Welt.

Den Anfang macht der Stuttgarter Maler Erwin Holl, der in diesem Jahr seinen 60sten Geburtstag feiern wird.
Ich darf ihn an dieser Stelle herzlich begrüßen….
…ebenso die Vertreter und Vertreterinnen der Stadt, des Vereins und nochmals: Sie alle!

Was erblicken wir, wenn wir unseren Blick nun durch den Ausstellungsraum schweifen lassen, der von seinen Arbeiten geprägt ist?

Unterschiedliches lässt sich erkennen und deutet sich an: große, volle und fast leere blaue oder fast weiße Bildgründe. Ganz gleich ob voll oder leerer, auf allen zeigt sich vieles im Nebeneinander, Vor- und Hintereinander und in seltsam anmutenden Schichtungen – Dinge wurden zusammengebracht, obschon sie auf den ersten Blick nicht zusammen gehören.
Es gibt in diesen Bildwelten offenkundig einiges zu sehen, auch wenn das, was sich zeigt, auf seltsame Weise wieder zu entschwinden und dem eigenen Sehen und Wahrnehmen zu entgleiten droht.
Dies liegt auch daran, dass hier äußerst gekonnt Unterschiedliches auf den bildnerischen Weg geschickt wurde.
Rein optisch wird vieles zusammengebracht oder scheint auseinander hervorzugehen – ansatzweise collageartig ohne dabei direkt Collage zu sein – alles scheint mittels vielschichtiger Malweisen und Farbeinsätzen farblich zusammengehalten zu werden.

Darauf verweist auch das typographisch interessant zusammengesetzte Kompositum
des Titels der Ausstellung „ZusammenGänge“.
Allein das Wort Zusammengänge scheint weder Plural noch Substantiv von „zusammen-gehen“ zu sein; den Vorgang des Zusammengehens aber und damit etwas für die Bilder Holls Wesentliches anzudeuten – eine Wortneuschöpfung, die vieles geschickt anreißt, aufzeigt und die auch klanglich auf andere Begriffe verweist.
So liegt sie klanglich so nahe am Wort: Zusammenhänge, dass dieses mitschwingt und das dann doch durch das zweite Wort „Gänge“ seine Negation oder eine inhaltliche Ergänzung erfährt…
Eindeutig Greifbares wird mit diesem Begriff in dem Moment entzogen, in dem es sich scheinbar erahnen lässt:
So ähnlich scheint auch vieles in den Bildern Holls zu funktionieren.

Denn glaubt man auf ihnen etwas eindeutig erkannt zu haben, so treten einem beim weiteren Besehen des Bildes neuerliche Ebenen, Gegenstände und Ungereimtheiten entgegen, an denen automatisch Assoziationen hängen.

Man kann sich des Eindrucks von Simultanität nicht erwehren… Während man das eine erblickt und an es denkt – passiert im Bild das Andere… – die Bildebenen und Schichten wirken wie Raum- und Zeitebenen. Konkretes und Unkonkretes trifft in Schichten aufeinander – man fühlt sich erinnert an Überblendungen und an Überlagerungen von Eindrücken!

Ständig greifen wir nach Dingen, die sich vor uns auf vielen Ebenen im Alltag, in der Welt, im Internet, in den Medien abspielen, und können sie doch in ihrer Fülle kaum wahrnehmen, festhalten – sie steigen in uns nebulös verschwommen auf und verunklären sich scheinbar selbsttätig.
Wir möchten nach diesen Dingen greifen wie die Hände im Bild „Spuren III“, die scheinbar nach den Strommasten und der sich andeutenden Stromtrasse greifen…. und doch entgleiten sie uns….

Entschwinden im Raum, die Gleichzeitigkeit von Ereignissen und der Versuch, Dinge wahrzunehmen, trotz der Überlagerung von verschiedenen Eindrücken scheinen damit hier thematisch angerissen und erfahrbar aufgezeigt zu werden.
Es entstehen Kaleidoskope des Zeitgleichen. Die Parallelität und das wahrnehmbare Nebeneinander von Eindeutigem und Uneindeutigem, Konkretem und Unkonkretem wird in den Bildern konsequent umgesetzt und lässt den Betrachter vieles von dem nachvoll-ziehen, was ihn im Alltag überlagernd umgibt. 
Und was liegt hinter all den Schichten? – das Nichts?

Durch diese bildgewordenen simultanen Eindrücke wird auch thematisiert, das wir tatsächlich nur bestimmte Teile fokussieren und uns nur auf Teile im Bild konzentrieren können, so wie sich dies im alltäglichen Nebeneinader der Dinge eben auch verhält. Sehen, Wahrnehmen und Fokusieren als Vorgang werden thematisiert und eingefordert.
Die schiere Größe der Arbeiten unterstützen diese Absicht und Wirkung. Sie beeindruckt und stellt uns als Betrachter vor und in diese Bildwelten.

Titel lenken Lesearten und betonen dabei Einzelelemente oder aber Situativ-Narratives:
Abfahrt, Famliy Hotel, Bock, Relation,….

Lustvoll wird mit Malweisen, Materialien usw. umgegangen und Farbe auch auf Dinge unserer Dingwelt aufgetragen. So wird auf vielem gemalt und gearbeitet; auf Tellern wie Kacheln – anderes Ding, anderes Material, andere Oberfläche, anderer Ausdruck.

Die Arbeiten Holls sind bei aller malerischen Raffinesse und farbigen Zugänglichkeit
eben auch Arbeiten, die einen staunen lassen und auch nachdenklich machen – ihre Doppelbödigkeit, Vielschichtigkeit und Tiefe ist ihre Stärke.

Es ist nun an Ihnen, der Lieblingsbeschäftigung von Max Ernst nachzugehen. Dieser antwortete einmal, daraufhin gefragt, was seine Lieblingsbeschäftigung sei, mit :
„SEHEN“ und davon gibt es hier nun wahrlich viel und so Unterschiedliches.
Sehen Sie sich ein! Vermutlich und hoffentlich sehen Sie in den Bildern anderes als ich – gerade das ist die Freiheit, die uns große Kunst ermöglicht und eröffnet!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Stefan Renner