2015 Wolfgang Nussbaumer

Zeitungsartikel in der Schwäbischen Post, Aalen zur Einzelausstellung von Erwin Holl „ÜberSicht“, Landratsamt Aalen, 2015

Auf sanften Sohlen ins Universum

Erwin Holl ist ein ruhiger Zeitgenosse; freundlich, aber in sich gekehrt. Alles andere als ein künstlerischer Selbstdarsteller. Entsprechend unaufdringlich begeg­nen die Bilder des waschechten Hüttlingers dem Betrachter. Man muss sie befragen; dann öffnen sie sich mit einer Fülle von Antworten. Die richtige muss jede und jeder vor den kleinen und großen Formaten im Landratsamt in Aalen jedoch selbst für sich finden.

WOLFGANG NUSSBAUMER

Als „Anleitungen über das Sehen“ hat der Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg, Clemens Ottnad, bei der Vernissage am Donnerstagabend das Konvolut aus Zeichnungen und dem Zeichen verpflichteter Malerei beschrie­ben. Er bezog sich dabei auf den mehr­deutigen Titel der Ausstellung. „Über­sicht“ kündigt zum einen eine repräsen­tative Gesamtschau an, zum anderen enthält er den Anspruch, mit Pinsel und Zeichenstift über mögliche Sichtweisen auf die Kunst zu reflektieren.

So abgegriffen der Topos von der „Schule des Sehens“ sein mag, so gewinnt er in den Arbeiten von Erwin Holl doch eine neue, fesselnde Qualität. Der stille Schwabe setzt zwar auf die Kraft der Zeichen, dennoch bleibt die Farbe deren gleichberechtigter Partner. Bar jeder Ge­schwätzigkeit geleitet seine Zeichen­sprache prägnant durch das Universum der Bilder. Deren behutsam pastose Ko­lorierung entfaltet vor allem in den gro­ßen Formaten eine suggestive Tiefen­wirkung. Den Mut zum Seh-Risiko vor­ausgesetzt, kann sich das Auge auf eine scheinbar grenzenlose Wahrnehmungs­expedition jenseits von Raum und Zeit begeben.

Wenn in der Ruhe die Kraft liegt, erwei­sen sich Erwin Holls Bildräume als pure Kraftfelder. Es ist nicht die Ruhe vor dem Sturm, sondern das Insichruhen der zu Bildmetaphern geronnenen Erkenntnisse und Lebenserfahrungen des weitgereisten Künstlers von der Ostalb. Technoide und pflanzliche Formen durchdringen sich, amorphe Amöben suchen den Schulterschluss mit Aktfragmenten – den Möglichkeiten, Phantasie zu kon­kretisieren sind keine Grenzen gesetzt. Im Kontrast zu den großen Bilduniversen wirken die kleinen Zeichenformate wie deren einzelne Bausteine. Zusam­mengenommen dienen diese vom Krieg bis zum Eros, vom martialischen Termi­nator bis zur verspielten Komposition aus Blütenvulven reichenden Alltagsschiffren als Logbuch für die Reise durch
die Bildräume – und sind doch zugleich ganz sie selbst. „Alles hat mit allem zu tun“, lautet Ottnads treffende Erkenntnis.

Weil alles mit allem zu tun hat, fügen sich die von Antonia Frank und Vianna Kupfer mit jugendlichem Esprit darge­botenen drei Streicherstücke des zeitge­nössischen russischen Geigers Aleksey Igudesman und von Joseph Haydn gut in die Vernissage ein. „Großes Kompliment!“ lobt Hausherr Landrat Klaus Pavel dieses Gesamtpaket. Wo er recht hat, hat er recht.

Die Ausstellung ist bis 20. November während der Dienstzeiten im Ostalbkreis-Haus zu sehen.