2003 Helmut Herbst

Simultanerlebnis

 

Mehreres erscheint gleichzeitig: skizzenhaft linear mit dem Pinsel erhaben aufgetragene Farbe umreißt in den Bildraum gestellte Architekturen, weibliche und männliche Akte, Pflanzliches, aber auch Unbestimmbares. Dies alles durchdringt, verflechtet und überkreuzt sich zu einem sich verselbständigenden Gespinst graphisch-zeichnerischen Ursprungs. Dieses in der Regel mit einer oder zwei kontrastreichen Farben auf einen hellen Fond gesetzte Formgebilde wird mit weiteren Schichten jetzt mehr malerischem Farbauftrag überlagert und erzeugt eine Spannung, die beide Gegensätze- hier das mehr Zeichnerische, dort das mehr Malerische verstärkt. Daraus ergibt sich eine sowohl in den Raum hinein erstreckende Tiefenwirkung, die aber durch den platzierten Einsatz der Farbe wieder gemildert wird und ein eigenartiges Hin- und Herspringen zwischen vorne und hinten verursacht.

 

Der Beobachter taucht mitten in diese ansatzweise erkennbare und dann doch unbekannte Welt hinein. Die Großformate dieser Gemälde unterstützen dies und konfrontieren die Wahrnehmung auf ungewöhnliche Weise. Was man gleich identifizieren kann und was vertraut vorkommt, ist im nächsten Moment verfremdet, wirkt irgendwie anders, wird verrätselt.

 

Erwin Holl gelingt es mit seinen Bildern einen Zustand zu schildern, den man als Tagträumen beschreiben könnte. Während man etwas im Wachsein betrachtet, produziert unser Hirn Gedanken, die parallel ins Bewusstsein eindringen und ein Zusammenspiel verschiedener Vorstellungen hervorrufen, ähnlich einem inneren Monolog. Erwin Holls Bildwerke sind auch Psychogramme einer eigenen Sensibilität, die durch ihn in sichtbare Bilder verwandelt werden. Sie künden von einer Welt, die uns anzieht und distanziert, vertraut und fremd zugleich ist, die wir alle nachempfinden, aber nicht enträtseln können. Und das ist gut so, denn eine rational enträtselbare Welt stellt uns selbst in unserem Dasein in Frage.

 

Helmut Herbst

Galerie der Stadt Waiblingen

in: Katalog „scivias“, 2003